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GESCHICHTE & ANSATZ DES GÜNEÅž THEATERS

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  Das Theaterabenteuer der Gruppe fing 1991 in der Hauptstadt der Türkei, in Ankara an.

Eine Gruppe von Theaterschülerinnen und -schülern haben gegen das bestehende Theater in der Türkei eine Alternative gesucht und ein neues Theaterensemble gegründet: CanÅŸenliÄŸi Oyuncuları, Ensemble der festlichen Seelen.

Das Motto der Gruppe lautete: „Living Theatre” und „Theater überall”.

Die verschiedenen Produktionsformen des Theaters, der Organisation, der Inhalte, den Kommunikationsformen zwischen Zuschauenden und Darstellenden, sollten ausnahmslos neu und stets kollektiv verhandelt werden.

 

  Theater ist eine poetische Aktion im Raum.

Axiome des Theaters sind Darstellende und Zuschauende.

Der kreative Darstellende ist Subjekt des Theaters.

 

  Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Formel, nach welcher ein Darsteller zugleich Autor, Regisseur, Theaterbesitzer ist – eine Theaterform, die in der Türkei bisher nicht existierte. CanÅŸenliÄŸi Oyuncuları traten für dieses Experiment in Dörfern, Slums, Getthos und den Straßen der Großstädte auf. Die Frage nach Ausdruck und Weltaneignung gelangt dorthin, wo sie ihre Zuschauenden direkt betreffen. Hierbei verwirklichte die Gruppe ihre eigene Produktion in Improvisationen und deren Performances.

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  Mit westlichen Theaterformen, Happening, Commedia dell’arte, Clownstechniken und östlichen Formen des Theaters, persisches Tazieh, ritualistisch-anatolische Tänze, Kabuki, balinesisches und No-Theater, fand die Gruppe eine Verbindung aus beiden Kulturkreisen. Theaterpersönlichkeiten wie Antonin Artaud, Vsevlov Meyerhold und Augusto Boal, deren Werke, Ideen und Meinungen zum Theater beeinflussten die Arbeiten der Gruppe

CanÅŸenliÄŸi Oyuncuları nachhaltig. Zugleich standen anatolische, mittelöstliche Rituale und deren Erzählungen im Vordergrund. Es war diese Kombination von verschiedenen Theaterformen, die die Gruppe einen Versuch entwickeln ließen, Antworten auf aktuelle soziale und politische Situationen zu finden.

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  Sowohl in Vororten und Dörfern wie auf größeren Theaterbühnen der Türkei führte CanÅŸenliÄŸi Oyuncuları seine Stücke auf. Dabei waren so unterschiedliche Plätze Teil der Szene wie Massendemos, Friedhöfe, Universitätscampus, große Festivals, Scheunen, Verkaufslager für Tee, Straßenfeste, Restaurants, Vorhöfe von Fabriken und Zechen und Volksfeste. Ab 1995 dann führten CanÅŸenliÄŸi Oyuncuları ihre Stücke auch in den Metropolen Europas auf. Wegen ihrer politischen Parteinahme jedoch wurden viele Stücke in der damaligen Türkei verboten. In der Folge fanden dann auch mehrere Gerichtsverhandlungen und Festnahmen statt.

 

  Weil 1998 schließlich eines der Gründungsmitglieder gegen die selbstgesteckten Regeln der Gruppenkollektivität verstoßen hatte, beschlossen die anderen Gründungsmitglieder einen eigenen Weg einzuschreiten und sich fortan GüneÅŸ Theater (gesprochen: Günesch) zu nennen. Das künstlerische Grundverständnis des Ensembles CanÅŸenliÄŸi wurde unter neuem Namen indes beibehalten:

Im byzantinischen Reich noch wurde Anatolien als Land der aufgehenden Sonne, GüneÅŸ, verstanden. GüneÅŸ ist aber auch Symbol für die Aufklärung des Menschen, die sich nicht nur aus geistiger Einsicht, sondern auch aus einer Bejahung von Sinnlichkeit und poetischer Kraft ergibt.

 

  Seither wollte GüneÅŸ sich außerhalb der Türkei präsentieren. Aufgrund der Erfahrungen von Tourneen und vielseitigen Verbindungen zum Ausland fand sich GüneÅŸ schließlich auch in neuen ästhetischen Formen wieder. GüneÅŸ setzte seine Tourneen in der Türkei und in Europa zwischen 1998 und 2002 fort. Zeitgleich setzten sich Gerichtsverhandlungen, Verbote und Zensuren in der Türkei fort. 

2002 endlich beschloss das Ensemble der zermürbenden politischen wie finanziellen Situation wegen auszuwandern. In Frankfurt am Main fand das GüneÅŸ Theater schließlich einen Ort, an dem es mit Unterstützung seiner vielen Freunde die Arbeit weiterführen konnte.

 

  Als 2002 von der UNESCO das Nâzım Hikmet Jahr ausgerufen wurde, inszenierte das GüneÅŸ Theater gemeinsam mit dem Membran-Theater in Wiesbaden das mehrsprachige Theaterstück Bu Yürek – Testament.

Zurecht gilt Nâzım Hikmet als Begründer der modernen türkischen Lyrik und als einer der bedeutendsten türkischen Poeten. Er starb am 3. Juni 1963 im Moskauer Exil. Seine türkische Staatsangehörigkeit wurde ihm erst postum 2009 wieder zuerkannt.

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  In Bu Yürek – Testament wurden die Gedichte Hikmets in Deutsch, Französisch und Türkisch szenisch gelesen. Bis zur Uraufführung am Türkischen Staatstheater in Ankara trafen sich kamerunische, deutsche und türkische Künstler während zweimonatiger Proben zusammen. Die Europapremiere des Stücks fand schließlich in Frankfurt statt und wurde in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland und in der Türkei insgesamt 22 Mal aufgeführt. Bei diesem seinem ersten sowohl internationalen als auch mehrsprachigen Theaterprojekt stieß das GüneÅŸ Theater auf unerwartet großes Interesse der Öffentlichkeit. Es sollten nunmehr weitere Produktionen dieser ‚babylonischen‘ Theaterform entstehen.

 

  Bis zur aktuellen Spielzeit produzierte das GüneÅŸ Theater in Deutschland außerdem folgende Stücke:

 

*Deine Liebe ließ mich nicht im Stich“ und „Danke Deutschland /beide 2003

*Die Stadt, die ihr Gesicht verliert / 2004

*Krieger /  2005

*Bakchen / 2008

*Ein halbes Jahrhundert/ 2010

*Tee oder Kaffee/ 2012

*Auf der Anatolischen Strassen 2013

* Ve Perde  2017

*İstiklal / Beyoğlunda Bir Gece 2108

*Bir Halk DüÅŸmanı 2019

*Woher Komme İch 2020

 

 

  In verschiedenen Städten in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und der Schweiz wurden die Stücke insgesamt 92 Mal aufgeführt. Der große Zuspruch von Zuschauenden erleichterte schließlich die Fortführung des GüneÅŸ Theaters in seinem Selbstverständnis als einer mehrkulturellen Theatergruppe.

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